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Die ökonomische Analyse ausgewählter Wirtschaftsstraftaten im historischen Normenkontext

Andreas Hey

ISBN 978-3-89722-788-0
330 Seiten, Erscheinungsjahr: 2001
Preis: 40.50 €
Wirtschaftskriminalität dringt in der modernen Industrie- und Kommunikationsgesellschaft immer weiter vor. Dieser Eindruck kann jedenfalls entstehen, sieht man sich die Publikationen in den verschiedenen Medien über die letzten Jahre und Jahrzehnte hinweg an. So ist es nicht verwunderlich, dass die Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität immer wieder spätestens aber seit Beginn der siebziger Jahre verstärkt auf der Agenda des Gesetzgebers steht.

Die Vorgänge um die Hammer Bank, die Conterganaffäre, die Flick-Affäre, die Metallgesellschaft, die Waffenexporte durch deutsche Chemiefirmen in den Irak, der Skandal um die Wertpapiere der DG-Bank, der VW-Devisenskandal, Balsam, Barings, BCCI, die fast schon gewerbsmäßige Beihilfe deutscher Banken zur Steuerhinterziehung, die vereinigungsbedingte und Treuhandkriminalität, Peter Graf, Schneider, die Sparkasse Mannheim, die CDU - Spendenaffäre, der Zusammenbruch des FlowTex Imperiums, der Leuna Skandal, oder auch die aktuellen Vorgänge um die Bankgesellschaft Berlin. Die Schadensschätzungen der kleinen und grossen Wirtschaftskriminalität reichen von mindestens 50 Mrd. DM bis zu 600 Mrd. DM pro Jahr. Andererseits werden die meisten der bekannt gewordenen Wirtschaftsdelikte schnell wieder vergessen. Es sind einfach zu viele.

Ein so schillerndes und wichtiges Thema wird natürlich auch durch die Wissenschaft bearbeitet. Es ist daher nicht verwunderlich, dass es eine breit gestreute Literatur über diesen Themenkreis gibt. So beschäftigen sich Juristen, Kriminologen, Soziologen und Psychologen mit den Teil-aspekten der Wirtschaftskriminalität, die ihre Disziplin berühren. Betriebswirte werden insbesondere auf dem kleinen und sehr speziellen Feld der Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung tätig. Andere Gebiete werden aber nicht als Tätigkeitsgebiet Wirtschaftswissenschaften erkannt, sondern fälschlicherweise von anderen Disziplinen (z.B. Jurisprudenz) für sich reklamiert und speziel-len Berufsgruppen (z.B. Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Rechtsanwälte) zugeschlagen.

Der Grund für die scheinbare Vernachlässigung des Themas Wirtschaftskriminalität wissenschaftlich umfassend bearbeiten zu können, sind nicht nur Kenntnisse auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaft erforderlich. Selbst hier reichen detaillierte Kenntnisse der Volkswirtschaftslehre nicht aus, sondern nötig sind auch Kenntnisse der Betriebswirtschaftslehre. Auch die Einarbeitung in die strafrechtlichen Aspekte reicht nicht aus. Es sind darüber hinaus privatrechtliche Kenntnisse, z.B. in Gesellschafts- und Handelsrecht, Wertpapierrecht, im Verwaltungsrecht, im Steuer- und Abgabenrecht, dem Subventionsrecht, den Wirtschaftsverordnungen, Schuldbeitreibung und Insolvenzrecht zwingend erforderlich. Diese Kombination von Wissens- und Wissenschaftsgebieten findet sich in den wenigsten Fachdisziplinen.

Festzuhalten bleibt, dass das Handeln der Wirtschaftssubjekte auf dem Gebiet der Wirtschaft in den erklärten Gegenstandsbereich der Wirtschaftswissenschaften fällt. Somit müsste auch das kriminelle Handeln der Wirtschaftssubjekte in den Erkenntnisbereich der Wirtschaftswissenschaften gehören. Neben der Tatsache, dass das Thema Wirtschaftskriminalität durch Juristen, Soziologen und Betriebswirte besetzt erscheint und dass bei der Bearbeitung des vielgestaltigen Themas eine strikte fachgebundene Analyse in klassischen ökonomischen Fächern nicht möglich ist, erklären die Schwierigkeiten bei der Modellbildung und die weitgehende Abstinenz der Volkswirtschaftslehre beim Thema Wirtschaftskriminalität.

Eine systematische Auseinandersetzung, die sich nicht an vordergründigen und zum Teil populistischen Forderungen orientiert, fehlt derzeit noch. Es mangelt nach wie vor an systematischen Vorarbeiten sowie empirisch verläßlichen Daten, obwohl inzwischen eine Vielzahl von Büchern über Wirtschaftskriminalität zu verzeichnen ist.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen der Ökonomie bei der Erklärung einzelner Phänomene. Die unterschiedlichsten Einflussfaktoren, die Wirtschaftskriminalität charakterisieren, lassen sich generell wohl nicht in einem Modell zusammenfassen. Andererseits müssen die Grundlagen für eine "Theorie der Wirtschaftskriminalität" in theoretischer und anwendungswissenschaftlicher Hinsicht geschaffen werden. Diese Arbeit versucht einen ersten Schritt in dieser Richtung, indem man sich auf einzelne Tatbestände konzentriert und sie ausgewählten ökonomischen Analysen unterzieht.

Die Initialzündung für die ökonmische Erforschung der Kriminalität ist untrennbar mit dem Namen Gary S. Becker verbunden. Obwohl sich Becker in zwei kürzeren Aufsätzen im Rahmen der Ökonomie des Alltags auch mit Wirtschaftskriminalität befasst hat, blieben seine Ausführungen für diesen Forschungsbereich weitgehend bedeutungslos. Allerdings sind die Annahmen des Becker`schen Modells für die Wirtschaftskriminalität zu restriktiv, um eine befriedigende Erklärung für das Phänomen Wirtschaftskriminalität bieten zu können.

In der "ökonomischen Analyse der Wirtschaftskriminalität..." wird daher ein institutionentheoretischer Ansatz gewählt. Im Zentrum der Betrachtungen stehen die wirtschaftsstrafrechtlichen Normen als gesellschaftliche Ordner. Es wird gezeigt, welche Bedeutung Normen für das Individuum und die Gesellschaft haben. Betont wird, dass weder der methodologische Individualismus der Wirtschaftswissenschaften noch der holistische Ansatz der Soziologie eine befriedigende Erklärung für das Phänomen Wirtschaftskriminalität bieten können. Vielmehr wird eine synergetische Position bezogen, die die selbstorganisatorischen Beziehungen zwischen wirtschaftsstrafrechtlichen Normen, Individuum und Gesellschaft in den Vordergrund stellt.

Ausgehend von der allgemeinen Rezeption der Wirtschaftskriminalität bzw. ihren Auswirkungen wird zunächst die Frage der Definition der Wirtschaftskriminalität diskutiert. Hier wird deutlich, dass es für verschiedene Wissenschafts- und Arbeitsbereiche unterschiedliche Definitionen gibt, die ihrerseits zu Schwierigkeiten bei der interdisziplinären Bearbeitung des Themas Wirtschaftskriminalität führen. Als erstes wesentliches Ergebnis wird zum Zwecke der Arbeit eine Definition der Wirtschaftskriminalität aus ökonomischer Perspektive entwickelt. Obwohl relativ weit gefasst, so gibt sie doch den Ökonomen eine Handhabe, sich in allgemeiner Form dem Problem der Wirtschaftskriminalität zu nähern. Die ökonomischen Termini wie Informationsasymmetrie, Marktleistung oder Transferverpflichtung bilden Äquivalente zu den juristischen Begriffen wie Täuschung und Schaden. Demnach stellt sich Wirtschaftskriminalität als ein Nicht-Wert-Äquivalenztausch aufgrund von Informationsasymmetrien dar, wobei die Informationsasysmmetrien hergestellt oder derartig ausgenutzt werden, so dass eine (Wirtschafts-) Strafnorm verletzt wird.

Anschliessend werden im Rahmen einer interdisziplinären Betrachtungsweise die Besonderheiten der Wirtschaftskriminalität ausführlich erläutert. Dabei wird der Leser in die Lage versetzt, alle wesentlichen Determinanten der Wirtschaftskriminalität sowohl aus rechtlicher als auch tatsächlicher Sicht kennenzulernen. Dabei werden sowohl Probleme der Quantifizierung der materiellen und immateriellen Schäden, die Motive der Wirtschaftsstraftäter, die Bestimmung der Persönlichkeitsmerkmale des Wirtschaftsstraftäters sowie formal juristische Probleme des Wirtschaftsstrafrechts angeführt. Das Ergebnis dieses Abschnitts ist, dass die Wirtschaftskriminalität und das Wirtschaftsstrafrecht nicht mit sonstiger Kriminalität zu vergleichen ist.

Aus dem Beziehungsgeflecht der unterschiedlichen Aspekte wird dann eine historische Perspektive formiert. Der Bogen wird von den ersten schriftlich überlieferten Rechtsquellen bis zur heutigen Zeit gespannt. Endpunkt der historischen Perspektive bildet die Beschreibung der Vereinigungskriminalität als Sonderform der Wirtschaftskriminalität. Die historische Perspektive zeigt auf, wie sich politisches System, soziales System und ökonomisches System im Rechts- und Wirtschaftssystem spiegeln. Dabei bilden wirtschaftsstrafrechtliche Vorschriften eine Marginalbetrachtung, die Rückschlüsse auf die jeweilige Konstitution und deren elementaren Komponenten zulassen. Jedes System flankiert seine Ordnung durch bestimmte Strafbestimmungen im wirtschaftlichen Bereich, die seine Besonderheiten abbildet. In der kondensierten Situation der deutschen Wiedervereinigung konnte der Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Handlungsweise uns wirtschaftstrafrechtlicher Sanktion besonders gut nachvollzogen werden.

Paralell zu den historischen Entwicklungen sind auch die wissenschaftlichen Bemühungen einzelner Fachdisziplinen um Erkenntnisse aus dem Bereich des Wirtschaftsstrafrechts bzw. der Wirtschaftskriminalität zu sehen. Insbesondere die Soziologie und die Kriminologie haben Konzepte und Erkenntnisse bezüglich der Wirtschaftskriminalität im Rahmen der Theorien des abweichenden Verhaltens. Auch die juristische Wissenschaft beschäftigt sich aus ihrer Sicht mit Beiträgen zu verschiedenen Straftatbeständen. Die durch die Ökonomen entwickelten Instrumente können auf die Wirtschaftskriminalität übertragen werden. Angewendet wurden die Arbeitsweisen der evolutorischen Ökonomik und der Institutionentheorie. Im speziellen Teil der Arbeit werden Korruption, Subventionen, Bankrott und Insolvenzverschleppung und Anlagebetrug ökonomischen Betrachtungen unterworfen.

Das Thema Korruption wurde auch von Ökonomen behandelt. Ein Erklärungsansatz Becker`scher Prägung muss vor dem multifaktoriellen Hintergrund der konkreten Korruptionssituation versagen. Vielmehr müssen synergetisch die korruptionsrelevanten Determinanten betrachtet werden. Diese betreffen die jeweiligen politischen Systeme, die internalisierten moralisch-ethischen Werte, aber auch -nicht ausschliesslich- eine persönliche Kosten-Nutzen-Risiko-Analyse des Individuums. Es wurde insbesondere an den Beispielen des Nationalsozialismus und dem Sozialismus der DDR deutlich, dass totalitäre Systeme, trotz des Anspruchs Korruption zu bekämpfen und hart zu bestrafen, besonders korruptionsanfällig sind.

Die Strafbarkeit des Bankrotts lässt sich in unterschiedlichen Facetten bis in das römische Recht zurückverfolgen. Der Marktaustritt ist integraler Bestandteil einer marktwirtschaftlichen Ordnung. Der ordnungsmässige Austritt des insolventen Unternehmers ist entweder durch den Markt oder den Staat zu gewährleisten. Die Informationsverteilung im Markt führt dazu, dass der Markt diese Funktion nicht übernehmen kann. Dementsprechend kann gefolgert werden, dass die Eingehung unternehmerischer Risiken nicht nur zivilrechtlich flankiert werden kann sondern auch strafrechtlich sanktioniert werden muss. Die strafrechtliche Lösung erweist sich aus ökonomischer Sicht nicht als second- best Lösung, sondern als notwendiger Bestandteil einer marktwirtschaftlichen Ordnung.

Subventionen nehmen als Wirtschaftslenkungsinstrument eine immer breitere Stellung ein. Dabei entsteht zwischen dem juristischen Begriff des Zweckverfehlungsrisiko und dem ökonomischen Begriff der Zweckverfehlung ein Spannungsverhältnis. Denn selten können die mit den Subventionen politisch verfolgten Ziele auch ökonomisch gemessen werden. Nach dem Masstab der Ökonomie erfüllten die meisten Subventionen bereits bei der Vergabe das juristische Kriterium der Zweckverfehlung. Als wesentliches Ergebnis dieses Abschnittes ist die Forderung einer genauen Messung der Subventionswirkung und deren Veröffentlichung zu sehen. Dazu müssen die makroökonomischen Variablen der subventionsgebenden Stellen einheitlich erfasst werden. Auf der anderen Seite sollten die mikroökonomischen Wirkungen ebenfalls gemessen werden. Die internationale Rechnungslegung dringt immer weiter vor und die International Accounting Standards sehen Berichtspflichten für Unternehmen vor, die für diese Zwecke genutzt werden könnten.

Die Aufgabe des Staates für Vertrauen im Wirtschaftsverkehr zu sorgen wurde im Bereich des Anlagebetruges besonders hervorgehoben. Die Komplexität der Kapitalmärkte hat dazu geführt, dass die zum Schutz der Kapitalmärkte eingeführten Strafnormen auf verschiedene Gesetze aufgeteilt sind. Erst unter der definitorischen Zusammenfassung auf die grundlegenden Determinanten des Anlagebetruges ergibt sich ein Bild, dass wieder auf die allgemeine Definition der Wirtschaftskriminalität zurückgreift und für den Fall des Anlagebetruges zuspitzt. Dann wird deutlich, dass eine Grenze zwischen dem legitimen Ausnutzen einer Informationsasysmmetrie und der (psychologischen) Schaffung einer solchen im Zusammenhang der Täter - Opfer Interaktion existiert.

Die Erkenntnis, dass am Ende einer langen Rechtstradition die wirtschaftsstrafrechtlichen Normen in der heutigen Form stehen, führt zu der Hypothese, dass diese Regelung die effizienteste Lösung zum Problem der Einhaltung der wirtschaftlichen Normen ist. Dies gilt es aber weiter theoretisch zu belegen. Die evolutorische Entwicklung der Strafrechtsnormen ist nicht abgeschlossen, weder durch das kodifizierte Recht noch durch das Richterrecht. Auslöser für solche Änderungen sind unterschiedlicher Natur, aber immer mit ökonomischen Hintergrund. Erreicht eine Kriminalitätsform einen kritischen Schwellenwert, wird reagiert. Das Interessante an dem Rechtsbildungsprozess ist das Wechselspiel von individueller und kollektiver Reaktion auf soziale Phänomene, das im Strafrecht und insbesondere im Wirtschaftstrafrecht seine Entsprechung findet.

Die Anzahl der wirtschaftsstrafrechtlichen Normen ist fast unüberschaubar. Allein aus dem Fundus der strafrechtlichen Normen ergeben sich neue Ansätze für die ökonomische Forschung. Dazu bieten sich die unterschiedlichsten Delikte an. Aus dem Kernstrafrecht sind dies insbesondere der Betrug (§ 263 StGB) und die Beitragsvorenthaltung (§ 266 a StGB). Bei den Recherchen zu dieser Arbeit haben sich aber auch interessante Ansätze zu den ökonomischen Fragen der Zollkriminalität ergeben.

Die Gesellschaft befindet sich auf dem Weg zur Informationsgesellschaft. Die Wirtschaft ist im Wandel. Die sogenannte "new economy" bringt auch im Bereich der Wirtschaftskriminalität neue Herausforderungen für Wissenschaft, Strafverfolgungsbehörden, Gesellschaft und Staat. Neue Interaktions- und Transaktionsformen produzieren schon jetzt neue Kriminalitätsformen, die erheblichen Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung einzelner Wirtschaftssubjekte und Wirtschaftssektoren nehmen können. Noch mehr als die normale Wirtschaftskriminalität alter Prägung werden diese neuen Kriminalitätsformen das Gesellschafts- und Wirtschaftssystem auch international auf die Probe stellen. Auch in diesem Bereich sind die Ökonomen aufgerufen, mit ihren Erkenntnissen zu der Bewältigung bestehender und zukünftiger Probleme beizutragen.

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