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Anna Amalia von Preussen (1723-1787). Prinzessin und Musikerin

Tobias Debuch

ISBN 978-3-89722-628-9
151 Seiten, Erscheinungsjahr: 2001
Preis: 23.00 €
Neuerscheinung: Prinz Louis Ferdinand von Preußen (1772-1806) als Musiker im soziokulturellen Umfeld seiner Zeit von Tobias Debuch

Zusammenfassung

I Einleitung

Prinzessin Anna Amalia von Preußen ist vor allem der Musikwissenschaft und der Forschung im Umfeld Johann Sebastian Bachs bekannt durch ihren Nachlaß, der heute den Namen "Amalienbibliothek" trägt. Dieser Nachlaß, der mittlerweile in der Deutschen Staatsbibliothek zu Berlin, zu finden ist, besteht aus einer einzigartigen Musikaliensammlung, die neben Werken Agricolas, Grauns, Hasses, Händels, Palestrinas und Carl Philip Emanuel Bachs vor allem Werke Johann Sebastian Bachs umfaßt und daher der "zentralste Sammelpunkt für Bachsche Handschriften nach Sebastians Tode" [1] wurde.

Neben dieser großen musikhistorischen Leistung Prinzessin Anna Amalias ist aber ihr eigenes musikalisches Werk, ihre Auswirkungen auf ihr musikalisches Umfeld, ja sogar ihre Biographie zum größten Teil unerforscht. Dabei birgt das erhaltene Werk der Prinzessin zwar keine Sensationen, es ist vergleichbar mit dem eines "Kleinmeisters". Das Interesse, das es aber dennoch verdient, liegt in dem Umstand begründet, daß der Begriff "Kleinmeister" in diesem Fall in seiner weiblichen Form angewandt werden müßte. Daß es im achtzehnten Jahrhundert kaum eine Handvoll deutscher Frauen gibt, die von musikhistorischer Relevanz sind, macht Prinzessin Anna Amalia schon in dieser Hinsicht zu einer Preziose. Weitaus spektakulärer ist darüber hinaus der Sachverhalt, daß das Werk Anna Amalias nur vergleichbar wäre mit dem eines norddeutschen "Kleinmeisters", der mindestens eine Generation früher als die Prinzessin gelebt haben müßte. Anna Amalia von Preußen ist in ihrer Musikausübung und Musikanschauung ein Anachronismus in der Musikgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts, bei dem es verwunderlich ist, daß er bis jetzt nur so oberflächlich untersucht wurde.

II. Zur Biographie der Prinzessin Anna Amalia von Preußen

Prinzessin Anna Amalia von Preußen ist für die Forschung zur Preußischen Geschichte ein in weiten Teilen unbeschriebenes Blatt. Deshalb war es hier notwendig auf dem Gebiet der Biographik tätig zu werden, zumal einige Hintergründe für das ungewöhnliche musikalische Werk Prinzessin Anna Amalias in ihrer Lebensgeschichte zu finden sind.

Prinzessin Anna Amalia von Preußen wurde am 9. November 1723 als sechste Tochter des preußischen Königs, Friedrich Wilhelm I., des sogenannten Soldatenkönigs, und seiner Frau Sophie Dorothea in Berlin geboren und am gleichen Tag getauft. Sie war das achte noch lebende Kind ihrer Eltern und die zwölfte Entbindung ihrer Mutter. Ihre Geburt vollzog sich unter spektakulären Umständen. Prinzessin Wilhelmine, die älteste Schwester Amalias, berichtet davon in ihren Memoiren:

"In der Nacht erkrankte sie [Königin Sophie Dorothea, Mutter Amalias] an heftiger Kolik, verheimlichte aber ihr Übel so gut sie konnte, um den König nicht aufzuwecken. Als sie auf gewisse Anzeichen hin merkte, daß ihr eine Entbindung bevorstand, rief sie um Hilfe. Es blieb nicht Zeit, einen Arzt und eine Wärterin zu holen, und sie brachte glücklich eine Prinzessin zur Welt."[2]

Dieser ungewöhnliche Eintritt ins Leben mag symptomatisch sein, denn Verwirrung löste Amalia während ihres dreiundsechzig Jahre dauernden Lebens und auch darüber hinaus in ihrer Umgebung weiterhin aus.

Dieser spektakulären Geburt folgte die gewöhnliche Kindheit einer preußischen Prinzessin, die geprägt war von einem teilweise brutal gegenüber seinen Kindern auftretenden Übervater[3] und die im übrigen ohne Musikerziehung verlief. Erst mit dem Regierungswechsel im Jahr 1740 änderte sich das Leben und die Stellung Anna Amalias am preußischen Hof.

In diese Zeit fällt eine in der Forschung heftig umstrittene Episode aus dem Leben der Prinzessin, deren Wahrheitsgehalt von manchen Historikern zwar nahezu vollständig negiert wird, die aber wie ein Schlüssel für jede mögliche Biographie der Prinzessin sein könnte. Darüber hinaus ist es gerade dieser Episode, einer angeblichen Liebesbeziehung der Prinzessin mit Friedrich Freiherrn von der Trenck, zu verdanken, daß "Amalie als einzige der Geschwister eine geradezu ans Wundersame grenzende Glorifizierung in der neueren Literatur"[4] erfuhr. Diese Liebesbeziehung gelangte zu einiger Berühmtheit durch die Memoiren des Freiherrn von der Trenck, die beschreiben, wie er wegen eben dieser - nicht standesgemäßen - Affäre von Friedrich II. ein Leben lang verfolgt wird und schließlich neun Jahre im Kerker verbringt. Die Frage ob nicht doch ein Körnchen Wahrheit in diesen Erzählungen zu finden ist, scheint ausschlaggebend für die weitere Biographie Amalias zu sein, da sich hierdurch einige Wesenszüge der immer kauziger und schrulliger erscheinenden Prinzessin und auch einige Werke erklären ließen.

Interessanterweise blieb Amalia als einzige ihrer Geschwister unverheiratet. Prinzessin Anna Amalia wurde 1755 stattdessen Äbtissin von Quedlinburg, ein Amt, das ihr zwar Unabhängigkeit durch einen eigenen Hof und vor allem die dazugehörigen finanziellen Mittel einbrachte, das sie aber nicht im eigentlichen Sinne ausübte. Amalia war während der zweiunddreißig Jahre dauernden Amtszeit gerade drei Mal für einige Tage in Quedlinburg anzutreffen. Sie blieb ihr Leben lang in Berlin und es ist schwierig ihre dortigen Aktivitäten und Tagesabläufe mosaikartig aus den überlieferten Quellen zusammenzusetzen. Was sich trotzdem ergibt, ist das Bild einer mit zunehmendem Alter immer verschrobener aber auch immer einsamer werdenden Frau, die von ihrer Umgebung sehr unterschiedlich beurteilt wurde. Die Eigenarten der Prinzessin zeigen sich zum Beispiel anläßlich der Flucht des Berliner Hofes während des Siebenjährigen Krieges nach Magdeburg:

"die Prinzessin Amalie [war] im größten Putz und mit allen Juwelen geschmückt. Sie war dabei wie ausgelassen vor Freude und hatte den größten Spaß zu sehen, wie der ganze Schloßhof voll Packete und Koffer lag, die man zum Theil, größerer Schnelle wegen, zu den Fenstern hinauswarf."[5]

Amalia sorgt sich um ihre Familie als ihre Mutter und ihr Bruder, August Ferdinand, sterben. Sie wird aber innerhalb ihrer Familie wegen ihrer Art und wahrscheinlich auch wegen ihres guten Verhältnisses zum König, Friedrich dem Großen, sehr argwöhnisch und mißtrauisch gesehen.

Der jüngere Bruder Amalias, Prinz Heinrich, wird zum Beispiel in der Literatur als der Erfinder des Spitznamens "la fée malfaisante" für Amalia, erwähnt.

Mit fünfzig Jahren scheint Amalia einen leichten Schlaganfall erlitten zu haben, wie ihr Bruder, Friedrich II., berichtet, und tatsächlich ist ihre gesundheitliche Konstitution in den folgenden Jahren nicht mehr so gut. Sie stirbt am 30. März 1787 in einem ihrer Palais in Berlin. Die tatsächliche Todesursache ist unbekannt.

III. Prinzessin Anna Amalia von Preußen als Musikerin

An dieser Stelle müssen drei Themenkomplexe angesprochen werden, der musikalische Werdegang Prinzessin Anna Amalias und der mögliche Einfluß ihrer Lehrer auf ihr musikalisches Werk, der Einfluß Anna Amalias auf die Musik und die Musiker ihrer Zeit und schließlich die Musik Amalias selbst.

Ein geregelter Musikunterricht Prinzessin Anna Amalias läßt sich zum ersten Mal nach dem Tode des Vaters nachweisen, in dessen Bildungsideal gerade für die Töchter Musikausbildung keine Rolle spielte. Ab 1740, Amalia ist bereits siebzehn Jahre alt, erhält sie beim Jugendlehrer ihres nunmehr königlichen Bruders, Gottlieb Hayne, zwei Jahre lang Musikunterricht. Darin inbegriffen war wahrscheinlich Klavier- und Gesangsunterricht. Die nun kommenden Jahre im Leben Anna Amalias sind zwar nicht frei von Musikausübung und sogar ersten Kompositionen doch findet erst im Jahr 1758 ein gravierender Einschnitt statt. Anna Amalia von Preußen erlaubt sich in ihrem fünfunddreißigsten Lebensjahr mit Johann Philipp Kirnberger den Luxus ihres ersten Hofmusikers. Sie wird ihn fast dreißig Jahre, bis an ihr Lebensende behalten. Kirnberger zählt zum direkten Umfeld Johann Sebastian Bachs. Er gehörte um das Jahr 1740 zu dessen Schülern in Leipzig und wird später von sich behaupten, die Bachsche Lehrmethode weitergegeben zu haben. Ähnlich äußert sich auch der erste Bachbiograph, Forkel:

"Wer die Bachische Lehrmethode in der Composition nach ihrem Umfang kennenlernen will, findet sie in Kirnbergers Kunst des reinen Satzes hinlänglich erläutert."[6]

Anna Amalia von Preußen also in der direkten Nachfolge Johann Sebastian Bachs? Dieser Frage galt es im Folgenden nachzugehen.

Die Lehrmethode Kirnbergers ist an dieser Stelle von immensem Interesse, da Anna Amalia von Preußen dessen Lehre bis zur Perfektion und während fast dreier Jahrzehnte durchlaufen hat. Ihre eigenen Werke und vor allem ihre Urteile über die Musik anderer Komponisten sind - wie noch zu zeigen ist - durchdrungen von einer rückwärtsgewandten auf der Lehre Kirnbergers fußenden Ästhetik in deren Mittelpunkt die Musik Johann Sebastian Bachs steht. Das Verhältnis zwischen Amalia und Kirnberger war dabei am Ende kein Lehrer-Schüler-Verhältnis mehr, sondern eher ein gleichberechtigtes, fast freundschaftliches.

Das Verhältnis Prinzessin Anna Amalias zu den Komponisten und Musikern ihrer Zeit war ein gespaltenes. Das Urteil der Prinzessin war hart und gefürchtet. Zu den Musikern, deren Musik im Zirkel um Amalia und Kirnberger aber gepflegt wurde, gehörte Carl Philipp Emanuel Bach, dem die Prinzessin kurz vor seiner Abreise aus Berlin nach Hamburg sogar den Titel eines Hofkapellmeisters verlieh. Auch nach dem Weggang Emanuel Bachs erfreute sich dessen Musik im Kreis um Amalia, im Gegensatz übrigens zum Hof ihres königlichen Bruders, in dessen Hofkapelle Bach jahrelang mitgewirkt hatte, großer Beliebtheit.

Zu diesem Kreis gehörte während der Jahre 1770 bis 1777 auch Freiherr Gottfried van Swieten, der später die Brücke nach Wien zu Haydn, Mozart, Beethoven schlagen und die Wiener Klassiker mit der in Berlin erlebten und konservierten Musikästhetik konfrontieren wird. Vor allem Mozart wird durch van Swieten und dessen bei Anna Amalia erworbenem Musikverständnis und seiner Kenntnis der Musik Johann Sebastian Bachs beeinflußt.

Das harte Urteil Amalias bekam in Berlin jeder zu spüren, der es wagte ihr mit nicht nach den Regeln des "reinen Satzes" komponierter Musik unter die Augen zu treten. Zur Musik Glucks schrieb sie:

"Der Herr Gluck nach meinem Sinne, wird nimmermehr für einen habilen Mann in der Composition passiren können. Er hat 1. gar keine Invention, 2. eine schlechte Melodie und 3. keinen Accent, keine Expression, es gleicht sich alles."[7]

Auf die Bitte des Komponisten J.A.P. Schulz ihr ein Werk widmen zu dürfen schrieb sie zurück:

"Ich verbitte sehr, meinen Namen unter ein Werk zu setzen, auf welches ich nie unterzeichnen werde und zwar aus dem Grunde, weil die itzige Musick keine Musick ist."[8]

Und Carl Friedrich Zelter bekam bei einem Orgelvorspiel bei Anna Amalia folgendes zu hören:

"Hör Er man auf. Er kann ja nischt. [...] Das is ja nischt. Geh' Er man zu Kirnbergern, der wird Ihm schon sagen, wo's Ihm sitzt."[9]

Um so interessanter ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß der Neffe Anna Amalias, Prinz Louis Ferdinand von Preußen, als kleiner Junge ihre Fugen und Kompositionen zu ihrer großen Freude auf ihren Hausorgeln spielen durfte und mußte.

Ein aktuelles und vollständiges Werkverzeichnis der eigenen musikalischen Werke Prinzessin Anna Amalias liegt nicht vor. Eine umfassende Würdigung ihres Werkes ist bisher also noch nicht erfolgt. Zwar wird in den Veröffentlichungen, die sich - überwiegend leider nur ausschnitthaft - mit der Musik Amalias beschäftigen, auf Teile des Werkes eingegangen, doch beschränkt sich dies zumeist auf das, was durch Kirnberger und andere veröffentlicht worden ist. Der überwiegende Teil des Werks Anna Amalias ist "jedoch nur in schwer zugänglichen Autographen erhalten und wird für die musikgeschichtliche Einschätzung dieser eigenartigen Frau kaum in Betracht gezogen."[10] Letztenendes wird sich dem Interessierten aber auch unter Hinzuziehung von Amalias erhaltenen Autographen eine nur punktuelle Perspektive auf das Werk erschließen, da "sich nur sehr wenig erhalten hat"[11]. Die Prinzessin selbst hat wahrscheinlich den Hauptteil ihres Werkes vernichtet.

In dem Buch wird der Versuch unternommen, einen Überblick über das kompositorische Schaffen der Prinzessin zu bekommen und anhand einiger ausgewählter bisher in der Forschung nicht untersuchter Werke zu beweisen, daß ihr eigenes Werk zwar stark unter dem Einfluß Johann Philipp Kirnbergers und dessen Musikästhetik steht, Anna Amalia aber eine Komponistin war, die sich ihrem Lehrer ebenbürtig zeigte. Die hierzu analysierten Werke sind sämtlich als Autographe in der Amalienbibliothek in Berlin erhalten.


[1] Herz, Gerhard: Johann Sebastian Bach im Zeitalter des Rationalismus und der Frühromantik. Zur Geschichte der Bachbewegung von ihren Anfängen bis zur Wiederaufführung der Matthäuspassion im Jahre 1829. Leipzig 1985. Nachdruck der Ausgabe 1935. S.35.
[2] Weber-Kellermann, Ingeborg (Hrsg.): Eine preußische Königstochter. Glanz und Elend am Hofe des Soldatenkönigs in den Memoiren der Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth. Frankfurt am Main 1988. S. 79.
[3] Vgl. z.B. die historischen Gründe und Folgen der Flucht des Kronprinzen, Friedrich II., vor seinem Vater.
[4] Pangels, Charlotte: Königskinder im Rokoko. Die Geschwister Friedrichs des Großen. München 1976. S. 372
[5] Thiébault, Dieudonné: Friedrich der Große, seine Familie, seine Freunde und sein Hof, oder 20 Jahre meines Aufenthaltes in Berlin. 1. Teil. Leipzig 1828. S. 213.
[6] Engelhardt, Ruth: Untersuchungen über Einflüsse J.S. Bachs auf das theoretische und praktische Wirken seines Schülers J.P.Kirnberger. Diss. Erlangen Nürnberg 1974. S. 69.
[7] zit. nach: Ledebur, Carl Freiherr von: Tonkünstler-Lexikon Berlins von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Tutzing und Berlin 1965. Nachdruck der Ausgabe Berlin 1861. S. 7.
[8] Sachs, Curt: Prinzessin Amalie von Preussen als Musikerin. In: Seidel, Paul (Hrsg.): Hohenzollern-Jahrbuch. Forschungen und Abbildungen zur Geschichte der Hohenzollern in Brandenburg.Preußen. 14.Jg. Berlin, Leipzig 1910. S.188.
[9] Schottländer, Johann Wolfgang (Hrsg.): Carl Friedrich Zelter. Darstellungen seines Lebens. Hildesheim 1978. Nachdruck der Ausgabe Weimar 1931. S.241.
[10] Weissweiler, Eva: Komponistinnen aus 500 Jahren. Eine Kultur- und Wirkungsgeschichte in Biographien und Werkbeispielen. Frankfurt am Main 1981. S. 127.
[11] Sachs, Curt: Prinzessin Amalie von Preussen als Musikerin. In: Seidel, Paul (Hrsg.): Hohenzollern-Jahrbuch. Forschungen und Abbildungen zur Geschichte der Hohenzollern in Brandenburg.Preußen. 14.Jg. Berlin, Leipzig 1910. S. 186.

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